Kaufmann und Unternehmer
Adolf Leonhard Vischer-Simonius, 9.8.1879 bis 13.10.1959,
Stamm C
Ada Emma Vischer-Simonius, 30.4.1887 bis 26.2.1962
von Fritz Vischer
Adolf wollte weder Theologe, noch Arzt oder Historiker werden. Auch nicht Fabrikant von Seidenbändern, Jurist oder Architekt wie sein Vater und zwei seiner Brüder[1]. Er wich von diesem beruflichen Spektrum, das sich unter den Nachkommen seiner Grosseltern Vischer-Bilfinger gebildet hatte, ab und besann sich zurück auf die herkömmliche Tätigkeit der männlichen Vischer: Sie waren typischerweise «Handelsherren», kauften und verkauften Rohwaren und kümmerten sich auch darum, diese teils riskanten Geschäfte zu finanzieren und als Bankiers zu wirken.
Statt Studium eine kaufmännische Lehre
Dieser Spur folgend, entschied sich Adolf Vischer nach der Matura am Humanistischen Gymnasium, eine kaufmännische Lehre zu machen. Eduard, sein Vater, betrachtete ihn deshalb «ein wenig als schwarzes Schaf in der Familie», ist im Nachruf über ihn zu lesen. Der anekdotischen Bemerkung zufolge hätte es der Vater der achtköpfigen Familie Vischer-Sarasin lieber gesehen, auch Adolf hätte sich wie seine fünf Brüder und zwei Schwäger[2] akademisch gebildet.
Seine Mutter verstand Adolf besser. Dank ihr trat er seine Lehrstelle bei ihrem Bruder Jakob Sarasin-Schlumberger an, nachdem er zuvor noch eine Handelsschule in Lausanne besucht hatte. Nach der Lehre bildete er sich in Paris, New York und London weiter. 1905 kam er in die mit neuem Kapital ausgestattete Wollhandelsfirma Haerle, Simonius, Strohl & Cie.; sie ging aus dem vormaligen krisengeplagten Wollhandelshaus Fürstenberger & Cie. hervor[3]. Die Familie Fürstenberger hatte die Firma 1719 gegründet und immer mit Wolle gehandelt. 1901 starb der letzte Vertreter der Gründerfamilie, nachdem er ein Jahr zuvor aufgrund eines abrupten Preissturzes am internationalen Wollmarkt hohe Verluste erlitten hatte.
Adolf wird Teilhaber
Nach dem Tod von Wilhelm Haerle wurde Adolf 1913 Teilhaber der Kommanditgesellschaft, die ab 1918 Simonius, Vischer & Co. (SVC) hiess. Als Neffe des ehemaligen Partners Georg Fürstenberger-Vischer (1833-1897) war Adolf verwandtschaftlich mit der Firma verbunden. Ada, seine Frau, war die Nichte seines Partners und Seniorchefs von SVC, Theodor Simonius-Burckhardt (1854-1931).
Die beiden Weltkriege und die Zwischenkriegszeit waren anspruchsvoll, obschon die Firma schon damals nicht nur in Europa, sondern auch im fernen, weniger kriegs- und krisengeplagten Australien, in Neuseeland und in Argentinien vertreten war. Der Transport, mithin die Versorgung der Endmärkte, war erschwert, teils unterbrochen, die Preise schwankten, und der internationale Kapitalverkehr war eingeschränkt, behördlich reguliert oder blockiert. Trotz dieser Herausforderungen gelang es Adolf und seinen Partnern, Simonius, Vischer & Co. durch diese schwierige Zeit zu bringen und zu einem weltweit bekannten Wollhandelshaus zu entwickeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein Aufschwung ein, der bis in die 1970er-Jahre andauerte.
Als weltgewandter Kaufmann engagierte sich Adolf Vischer von 1920 bis 1940 auch in der Basler Handelskammer, kam 1923 in den Verwaltungsrat des Schweizerischen Bankvereins, 1938 in den der Basler Versicherung. In beiden Gremien blieb er bis 1957, also bis zwei Jahre vor seinem Tod. Von 1938-1951 war er überdies im Bankrat der Schweizerischen Nationalbank (SNB).
Die Familie Vischer-Simonius
1909 vermählte sich Adolf mit Ada Simonius. Das Ehepaar Vischer-Simonius hatte fünf Kinder, drei Söhne und die zwei Töchter Alice und Ines. Kurt Vischer-La Roche (1910-1983), der Älteste, schlug wie sein Vater den Weg des Kaufmanns ein, wuchs in das Familienunternehmen hinein und wurde 1944 Teilhaber. Zehn Jahre später wurde das auch sein jüngerer Bruder, der Jurist Robert Vischer-Stampfli (1918-2003), nachdem Alfons, der 1921 geborene jüngste, 1951 jung verstorben war. Er hielt sich damals in Australien auf.
Zusammen mit ihren Partnern führten Kurt und Robert das Unternehmen nach dem Tode ihres Vaters erfolgreich weiter. Trotz Bestrebungen, in andere Bereiche zu diversifizieren, blieb Wolle das Hauptprodukt. Im Laufe der 1970er-Jahre begannen Währungsturbulenzen und die Entwicklung an den internationalen Rohstoffmärkten das Geschäft zu erschweren. 1982 sah sich die Geschäftsleitung gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen. Überdies erwies sich die Nachfolge als schwierig. 2003 löste sich die Firma schliesslich auf[4].
Adolf Vischer-Simonius war nicht nur ein weitsichtiger und gewiefter Kaufmann. Er ritt auch leidenschaftlich gerne, diente während des Kriegs als Major in der Kavallerie, und er war ein ‹Familienmensch› im weitesten Sinne: Zum Startkapital der Familienstiftung der Vischer leistete er 1938 den grössten Beitrag[5] und unterstütze so die Gründer entscheidend. 1944 trat er dem Stiftungsrat bei. 1956 gründete er die Stiftung Kinderfreund, nachdem sich ein Mitarbeiter über die hohen Mieten in Basel beklagt hatte. Die Stiftung[6] bezweckt noch heute, kinderreichen Familien zu preisgünstigem Wohnraum zu verhelfen und das Wohlergehen von Kindern zu fördern.
Im Kreise der Seinen
«Zu den schönsten Stunden», erfährt der Leser im Nekrolog über Adolf, «zählten die Feste, an denen er die engere und weitere Familie um sich versammeln konnte, sei es in seinem geliebten Haslihorn[7], dem Ferienhaus am Vierwaldstättersee, oder dem Wollenhof, dem von seinem Vater erbauten Haus an der Gartenstrasse». Auf dem Haslihorn verbrachte er alle seine Ferien und führte dort ein gastliches Haus. Viele Familienmitglieder, nicht nur Kinder und Grosskinder, durften dort ihre Ferien verbringen. Seinen Geburtstag am 9. August feierte er immer dort, zwei Monate vor seinem Tod auch den achtzigsten.
Wohl sehr im Sinne von Adolf Vischer-Simonius ist das malerisch gelegene Haslihorn bis heute familiärer Treffpunkt geblieben.
Ein Leben im Dienst der Schwächeren
Ines Vischer (21.7.1915 bis 22.12.2002)
Ines Vischer , die ledig gebliebene jüngere Tochter von Adolf, hat einen grossen Teil ihres Lebens in Adelboden verbracht. Ihr Vater hatte ihr schon 1950 in diesem Dorf im Berner Oberland «an einem sonnigen, ruhigen Plätzchen», wie es der Gemeindeschreiber von Adelboden nach ihrem Tod im Heimatbrief beschrieb, ein Chalet gekauft. Ines gab ihm den Namen Sans Souci, verbrachte dort die Sommer- und Wintersaison. Im Frühling und im Herbst lebte sie auf dem Haslihorn und bei ihrer Schwester Alice Balzli in Bollingen.
In Adelboden lebte sie nicht alleine, sondern mit Menschen, die ihre Hilfe brauchten. Anfang der 1960er-Jahre verlegte sie ihren Wohnsitz ganz dorthin, nachdem ihr Vater gestorben war. Zuvor war sie nach Basel zurückgekehrt, um ihren Vater zu pflegen. Ihm hatten in seinen letzten ein, zwei Jahren Kreislaufprobleme zugesetzt, denen er schliesslich erlag. Es war zu jener Zeit noch üblich, dass die ledige Tochter sich um die erkrankten, betagten Eltern kümmerte und zusammen mit den ‹Diensten› den Haushalt besorgte. Ines erfüllte die Voraussetzungen dazu besonders gut: Nach der Schulzeit in Basel hatte sie sich in Bern zur Krankenschwester ausbilden lassen.
Sans Souci: Ihr Lebenswerk
Ihre medizinischen Kenntnisse vertiefte Ines in der Psychiatrischen Klinik in Basel, der «Friedmatt», wie sie im Volksmund hiess. «Dabei erkannte sie», berichtet ihr jüngerer Bruder Robert im Nachruf über seine Schwester, «die Schwierigkeiten, die Patienten nach dem Austritt aus der Klinik auf dem Weg zurück ins Alltagleben hatten». Auf diesem Weg sollte Sans Souciden Patienten eine Zwischenstation sein, chronisch Kranken ein lieblicher Ferienort, allen zusammen Sorgen zumindest abnehmen, im Idealfall sie davon befreien, auf dass sie ‹sans souci› durch’s Leben wandeln können.
Mit Sans Souci «kam sie zu ihrer Lebensaufgabe». So umschrieb Robert Vischer, was sie aufbaute. Alfred Imiger, der Gemeindeschreiber von Adelboden, drückte sich anders aus, meinte aber dasselbe: «In ihrem Haus durften viele Menschen Aufnahme und geradezu ein Heim finden, die nicht eben auf der Sonnenseite des Lebens gestanden sind. Mit fürsorglicher Liebe und Hilfe hat sich Frau Vischer schwachen und behinderten Menschen angenommen und sie hatte stets auch ein offenes Herz, unterstützend zu wirken, wo es darum ging, Not und Leid zu lindern.» Während ihr das Wohl anderer wichtig war, führte sie selbst ein bescheidenes Leben.
In Adelboden war «Frau Vischer» bekannt und beliebt, manchen ein Vorbild. So auch im familiären Kreis: Ihre Brüder, Kurt und Robert, besuchte sie regelmässig. Gleichermassen hatte sie regen Kontakt zu ihren Nichten und Neffen sowie ihren zahlreichen Patenkindern. Eines von ihnen Monique, Ghitina, Ehinger Krehl-Vischer (1943) erinnert sich mit Freude, wie sie in jungen Jahren ins Sans Souci in die Ferien eingeladen war, mit den Bewohnerinnen Gesellschaftsspiele machte und sich dabei pudelwohl fühlte. Auch die Familie Balzli verbrachte oft Ferien dort.
Wenn immer es ihr möglich war, kam Ines an Familienfeste, so auch an die festlichen Versammlungen der Familienstiftung. Der familiären Saat, namentlich der väterlichen, ist zu verdanken, dass sie so gut reiten konnte, dass es sogar ihr kritischer Vater würdigte. Wohl aus eigenem Antrieb entwickelte sie eine grosse Liebe zu Hunden. Ab zwölf Jahren hatte sie bis zu ihrem Tod immer Neufundländer.
Die Nächstenliebe geht vor
«Es gibt ein Gesetz, das über dem staatlichen Gesetz steht; so gehe ich eben ins Gefängnis», soll sie geantwortet haben, als sie darauf angesprochen worden war, dass sie illegal handelte: Sie hatte eine Kurdin bei sich aufgenommen, obschon diese keine Aufenthaltsbewilligung hatte. Hatice Kunduru, wie sie hiess, blieb bei ihr und sie blieb lange. Sie bekam dann die nötigen Papiere und sie war es, die Ines in Adelboden und schliesslich auf dem Haslihorn bis zu ihrem Tod liebevoll umsorgte und rund um die Uhr pflegte. Die Trauerfeier für Ines fand dort statt und sie ist auf dem Haslihorn beigesetzt.
Mutter und Schriftstellerin
Alice Clara Balzli-Vischer, 13.12.1911 bis 7.6.1987,
Stamm C
Ernst Balzli-Vischer-Simonius, 10.4.1902 bis 3.1.1959
Alice und Ernst Balzli-Vischer lebten mit ihren Kindern Brigitte (1950) und Res (1952-2019) im bernischen Bolligen. Alice lernte ursprünglich Kindergärtnerin, war indes auch schriftstellerisch tätig. Diese Leidenschaft verband sie mit ihrem Mann, der Lehrer und Schriftsteller war. 1935 erschien das erste Buch von Alice, sechs weitere sollten bis 1985 folgen.
Zu ihren zahlreichen Texten gehört auch der nachstehende eindrückliche Lebensrückblick, den sie anlässlich ihres 70. Geburtstags verfasst hatte.
Er erschien 1983 in einem Sammelwerk, das der Blaukreuz-Verlag unter dem Titel Das Wichtigste in meinem Leben, Bekannte Frauen und Männer erzählen herausbrachte.
Alice Balzli-Vischer: Suche und Erfüllung
Wenn ich mit meinen siebzig Jahren zurückblicke, so bin ich voll von Dankbarkeit; denn mein Leben war reich und erfüllt. Ich habe lange nach dem Sinn des Lebens gesucht, ich bin viele Irrwege gegangen, habe an manche verschlossene Türe geklopft, habe viel Schönes und Interessantes erlebt, aber auch viel Leid erfahren. Ich weiss jetzt, dass alles so sein musste, um mich endlich zu dem zu führen, was meinem Leben Inhalt gibt.
Meine Kindheit und Jugend verlief problemlos. Wir waren fünf Geschwister, hatten ein schönes Heim und keine Sorgen. Die Schule fiel mir leicht, ich hatte viele Freundinnen, las, was mir in die Finger kam und träumte von der Zukunft mit einem Märchenprinzen. Ich interessierte mich weder für soziale Probleme noch für die Politik, und mein Glaube an Gott blieb traditionell. Wohl hatte ich Ideale und den Wunsch, für andere Menschen da zu sein; aber er blieb im Nebelhaften stecken. Ich hatte Kinder gern, und so lernte ich den Kindergärtnerinnenberuf, den ich jahrelang ausübte. Ich war soweit zufrieden mit mir und der Umwelt.
Eine ganz grosse Freude bereitete mir die Veröffentlichung meines ersten Buches, eines Märchens, inspiriert von einer Marokkoreise. Endlich hatte ich etwas Wichtiges erreicht. Ich fühlte mich als Künstlerin bestätigt. Aber wenn auch später noch weitere Bücher von mir erschienen, so wusste ich doch bald, dass ich nie zu den wirklich grossen Autoren zählen würde.
Wie ein Blitz schlug der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in mein geruhsames Leben. Ich wurde als Pfadfinder-FHD aufgeboten und tat zwei Jahre Dienst in Luzern. Alle Werte verschoben sich, und ich erkannte die ganze Tragik der Kriegsmaschinerie. Mein Alltag wurde klein und unbedeutend, und das Wichtigste für mich und meine Mitmenschen erschien mir eine Weit des Friedens.
Als ich aus dem Militärdienst zurückkam, stand ich auf einmal vor der Leere. Den Kindergarten wollte ich nicht wieder aufnehmen; aber was sonst? Eine Zeitlang arbeitete ich beim Roten Kreuz; aber das befriedigte mich nicht. Da ich immer wieder den Drang zu künstlerischer Betätigung, vielleicht auch den Hang zur Geltung verspürte, eröffnete ich meinen Eitern den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Sie waren nicht erbaut davon, liessen mir aber meinen Willen. Nach einem Jahr intensiven Studiums wurde mir klar; dass ich zu alt zum Anfangen und wohl auch zu wenig begabt für diesen schweren Beruf war.
Aufs Neue war ein Lebensziel zerbrochen, und diese Erkenntnis traf mich zutiefst. Dazu kam eine tragische Liebesenttäuschung. Mein Leben ohne den geliebten Menschen und ohne eine feste Berufsbasis schien mir sinnlos. Ich litt unendliche Qualen und sehnte mich nach dem Tod. Damals habe ich erfahren, was ein Selbstmörder durchmacht. Was mich vor dem Letzten bewahrte, war vor allem eine starke, innere Vitalität und vielleicht auch die Unkenntnis eines gangbaren Todesweges.
Da kam als Erlösung aus meiner inneren Not die Anfrage, ob ich im Namen der Schweizerspende in Gelsenkirchen im Ruhrgebiet zu arbeiten gewillt wäre.
Ich sagte ja. Nun konnte ich mit eigenen Augen die Not der Nachkriegszeit sehen. Zerbombte Städte, Flüchtlingselend, Armut und Hunger traten mir konkret entgegen, und es war ein befreiendes Erleben, nach besten Kräften helfen zu können. Ich lernte die Struktur einer grossen Stadt kennen, verhandelte mit deutschen Behörden und mit der englischen Besatzungsmacht, kam ins Gespräch mit katholischen und protestantischen Geistlichen und mit Tausenden von Kriegsarmen. Ich arbeitete in einer Gruppe von Schweizern, bestehend aus zwei Männer und vier Frauen, und erfuhr dadurch Freude und Schwierigkeiten einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft. Wenn ich heute bei meinen Kindern und andern Jugendlichen diese Art des Zusammenlebens sehe, so habe ich aus eigener Erfahrung volles Verständnis für dessen Sinn und dessen Probleme.
Nach zwei Jahren in Gelsenkirchen kehrte ich nach Basel zurück. Ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein, und so mietete ich eine kleine Dachwohnung, um endlich ein eigenes Heim zu haben. Ich schrieb ein Kinderbuch und arbeitete daneben im Antiquariat einer Buchhandlung.
ln all den vergangenen Jahren hatte ich verschiedene Männerfreundschaften, hätte auch mehrmals heiraten können; aber die Partner entsprachen nie ganz meinem Ideal. Sollte also mein Traum von einer eigenen Familie nie in Erfüllung gehen?
Und nun komme ich zur schönsten und reichsten Zeit meines Lebens, zu meiner neunjährigen Ehe mit dem Schriftsteller Ernst Balzli. Der langersehnte Märchenprinz erschien, zwar nicht mehr als junger Prinz, sondern eher als gereifter König. Ich hatte ihm mein Kinderbuch zur Begutachtung geschickt, und schon bei der ersten Begegnung wussten wir, dass wir zusammengehörten. Das Buch kam nie heraus, hatte aber seine Aufgabe im weitesten Sinne erfüllt.
Gott hatte mich vor einer Alltagsehe bewahrt, um frei zu bleiben für diese einzigartige Verbindung. All meine früheren Erfahrungen waren nötig gewesen, um zu erkennen, was wirkliche Herzensgemeinschaft ist.
Es war reinstes Glück, wenn mein Verlobter sagte: «Ich glaube, dass noch kein Mann eine Frau so geliebt hat wie ich dich», oder wenn ich jede Woche ein wunderschönes Liebesgedicht erhielt. Dass ich in einer einfachen Dachwohnung gelebt hatte, gehörte mit zur Schicksalsfügung; «denn», so vertraute mir mein Mann später an, «hätte ich das Haus deiner Eltern vorher gekannt, hätte ich niemals den Mut gehabt, dich um deine Hand zu bitten.»
Schon bald durften wir auch Kinder haben. Als ich mein erstes, eine Tochter, im Arm hielt, durchströmte mich ein so überwältigendes Muttergefühl, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Als dann nach knapp zwei Jahren ein Sohn dazukam, war unser Glück vollkommen. Mein Mann hatte aus erster Ehe eine Adoptivtochter, Veronika, die er innig liebte und mit der auch ich bis heute in Herzlichkeit verbunden bin. Zusammen eigene Kinder zu haben, war für uns beide ein neues, herrliches Geschenk.
Mein Mann arbeitete beim Radio, und ich durfte teilnehmen an seiner Arbeit dort und an seinem dichterischen Schaffen zu Hause. ln meiner Mutterfreude schrieb ich kleine Begebenheiten mit unseren Kindern auf, die dann später als Buch herauskamen.
Als mein Mann nach neun Jahren an einem Herzversagen starb, überkam mich unendliche Traurigkeit. Mir war, als sei ich nur noch ein halber Mensch und nie mehr fähig, zu lachen und fröhlich zu sein. Und doch fühlte ich im Gegensatz zu meinem früheren Erlebnis eine grosse innere Kraft. Ich wurde getragen durch die Fürbitte und Liebe meiner Freunde und wusste, dass meine Kinder ihre Mutter nun doppelt nötig hatten. Ihr kindliches Abendgebet, in dem sie zu Gott sprachen, als stünde er neben ihnen, half mir wie so vieles andere, das Leid anzunehmen und das Glück meiner Ehe hineinzutragen in mein weiteres Leben.
Nun galt es, eine neue Gegenwart und Zukunft aufzubauen, bereit zu sein für Aufgaben und bereit zu sein für andere Menschen, die wie ich Schweres erfahren hatten. «Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.»
Meine Kinder wuchsen auf und bereiteten mir viel Freude. Aufgaben wurden an mich herangetragen, und ich nahm sie an. Ich absolvierte eine Ausbildung für Elternschulung und gab dann selbst verschiedene Kurse. Ich wurde für Vorträge und Vorlesungen angefragt. Bei dieser Gelegenheit erkannte ich, dass nichts in unserem Leben sinnlos ist; denn die Sprachbildung der Schauspielschule kam nun meinem Vortrag und Vorlesen zugute.
Ich wurde in die Sekundarschulkommission gewählt und später auch in den Vorstand des Schriftstellervereins. Ich half mit bei der Witwenarbeit des Kantons Bern, und ich öffnete mein Haus vielen Gästen. Mein Leben war so ausgefüllt, dass mir keine Zeit zum Klagen blieb.
Nach ein paar Jahren stellte sich die Frage, ob ich mein Patenkind und seinen Bruder, die ihre Eltern verloren hatten, aufnehmen wolle. Da auch meine Kinder einverstanden waren, kamen die beiden in mein Haus, der Bruder für fünf Jahre und das Mädchen bis zur Matur. Ich, die ich mir immer viele Kinder gewünscht hatte und nur zwei eigene besass, sah nun vier bei mir aufwachsen.
Je älter die Kinder wurden, desto mehr Probleme stellten sich ein. Ich durchwachte manche Nacht und sehnte mich nach dem Vater meiner Kinder, der die Sorgen mit mir teilen und Entscheidungen treffen helfen würde.
ln stillen Momenten fragte ich mich oftmals, was denn eigentlich mein Erziehungsziel sei. Ich sah es so: «Für andere Menschen da zu sein.» Denn ich sagte mir: «Was auch die Zukunft bringen wird, Mitmenschen sind immer da, für die es zu leben gilt.»
Wenn ich sehe, wie viele Menschen in meinem Alter einsam sind, so erfüllt es mich mit Dankbarkeit, dass das bei mir nicht der Fall ist. Die Kinder, meine Schwester, junge Verwandte, Patenkinder und Freunde meiner Kinder gehen ein und aus, und seit sechs Jahren hat eine Freundin meiner Tochter ein Zimmer bei mir.
Der Kontakt mit so viel Jugend lässt meinen Geist nie zur Ruhe kommen. Ich lerne ihre Ansichten, politische und soziale, kennen, ich fühle durch sie, wie sehr die Weit sich geändert hat, und versuche, ihren Standpunkt zu verstehen. Von Zeit zu Zeit verlange ich aber auch meinerseits Verständnis für unsere Generation, die unter anderen Umständen aufgewachsen ist und an klar umrissenen Werten festhält
Krieg, Not der Entwicklungsländer, Umweltverschmutzung, Technisierung und vieles andere schaffen stets neue Probleme, und die heutige Jugend ist wacher, als wir es waren, aber auch unsicherer und zielloser. Ich leide mit ihnen und der heutigen Zeit, verliere aber nie den Glauben an eine Wende zum Guten.
Was ist nun das Wichtigste in meinem Leben? Es war und ist die Zeit meiner Ehe und Mutterschaft, und es ist der Glaube, dass Gott mein Leben durch Schönes und Schweres hindurchgeführt hat und es auch weiterhin tun wird für mich, meine Kinder und die ganze Welt.
Anmerkungen
[1] Ernst Vischer-Geigy (1878-1948) und Paul Vischer-Geigy (1881-1971)
[2] Eduard Vischer-Heusler (1874-1946), der Älteste, studierte Theologie, Max Vischer-von Planta (1888-1975) und Felix Vischer-Staehelin (1891-1970) Jurisprudenz. Von den beiden Töchtern heiratete Clara (1875-1972) den Mediziner Friedrich Suter (1870-1961), Anna (1877-1949) den Pfarrer Abel Theophil Burckhardt (1871-1958).
[3] Quellen: Wanner, Gustaf Adolf, Zweieinhalb Jahrhunderte im internationalen Wollhandel, Simonius, Vischer & Co. 1719-1969, Basel 1969, sowie Schweiz. Wirtschaftsarchiv (SWA) Basel.
[4] Quelle: Schweiz. Wirtschaftsarchiv (SWA) Basel sowie eigene Erkundungen
[5] 5000 von insgesamt 15’290 Franken; der Stiftung flossen im Laufe der Zeit weitere Gelder zu.
[6] seit 2002 unter dem Dach der GGG, Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige, Basel
[7] Das Gut Haslihorn konnte Adolf Vischer-Simonius anfangs 1938 dem belgischen König Leopold III abkaufen. Dieser wollte es nicht mehr, nachdem er 1935 bei einer Ausfahrt einen Autounfall verursacht hatte. Seine Frau, Königin Astrid, kam dabei zu Tode.