Eduard Vischer-Jenny (1903–1996)

Lehrer und Forscher

Eduard Wilhelm Vischer-Jenny, 3.12.1903 bis 13.09.1996,
Stamm C

Ida Margrit Vischer-Jenny, 28.6.1912 bis 17.3.1994

 

von Bodo Vischer

Wer spätabends die Gassen und Strassen von Glarus durchstreifte und am Haus Zur Kleinen Wiese vorbeikam, konnte dort noch das Licht in Eduard Vischers Arbeitszimmer brennen sehen. Bis tief in die Nacht pflegte er an seinem Schreibtisch Aufsätze zu korrigieren oder Schulstunden vorzubereiten. Eduard Vischer war ein gewissenhafter Lehrer, der die Vorbereitung der Schulstunden ernst nahm. Kein Konzertbesuch, wenn am nächsten Tag zu unterrichten war. Umgekehrt hinterliess sein Unterricht bei den Schülern einen nachhaltigen Eindruck. Insbesondere seine Gabe, «intensiv» zu erzählen, blieb in Erinnerung. Dabei war Eduard Vischer von seiner Disposition her introvertiert, ein zurückhaltender Redner. Andererseits besass er bei aller Scheu durchaus einen Hang zu Geselligkeit, die er offenbar still genoss. Wenn sich aber der Historiker Eduard Vischer auf vertrautem Terrain bewegte und an der Glarner Kantonsschule, zu deren Mitbegründern er gehörte, das Fach Geschichte unterrichtete, war er in seinem Element und ging weit über das hinaus, was zu seinen Amtspflichten zählte. Er wusste das Interesse der Schüler an seinen Fächern zu wecken. Er führte Exkursionen an und brachte auf diese Weise den jungen Glarnern Kunst und Kultur nahe. Kunst war ihm wichtig. Auch wenn er für die damalige Zeit unkonventionelle Wege ging, war Eduard Vischer ein Lehrer alter Schule, der viel verlangte. Umgekehrt wurden seine menschliche Nähe und sein Verständnis für «besondere» Schülerinnen und Schüler dankbar gerühmt. Wer aus einfachen Verhältnissen kam, den hat er bei sich zu Hause mit Nachhilfe gefördert. Ferner brachte er sich im Verein Schweizerischer Gymnasiallehrer (VSG) ein und beteiligte sich bei der Ausarbeitung von Lehrmitteln.

Ein wacher und kritischer Geist

Eduard Vischer bekleidete das Amt des Prorektors. In dieser Funktion hatte er zu Abschlussfeiern Reden zu halten. So rief er im Kriegsjahr 1941 die Schulabsolventen auf, sich nicht von der blinden Masse mitreissen zu lassen, die uns die Verantwortung abnähme, sondern als einzelne Menschen selbst Verantwortung zu übernehmen. 1960 fragte er seine Maturanden, was Reife bedeute. Damit sei nicht bloss die fachliche Reife gemeint, nicht nur die Summe des prüfbaren Wissens, sondern auch die menschliche Reife, der unfassbar-geistige Gehalt des Menschen. Dies sind Gedanken, die nicht nur in den Maturanden einen Adressaten haben, sondern zugleich auch auf Eduard Vischer zurückverweisen und etwas über ihn selbst aussagen. Er war ein wacher und kritischer Geist. Im Jahr 1963 vereinigte Eduard Vischer seine «Fünf Schulreden» in einem Sammelbändchen Maturität.

Eduard Vischer – der Lehrende. Exkursion mit einer Kantonsschulklasse nach Konstanz, 1960.

Freudloser Schüler

Eduard Vischer selbst ging eher freudlos durch Schulen und Universität. An den Institutionen vermisste er ein geistig anregendes Klima und die Förderung durch den Lehrkörper. Aus dieser negativen Erfahrung speiste sich Eduard Vischers Motivation, es als Lehrer besser zu machen und die jungen Menschen zu begeistern – und nahm sich als Vorbild die Ausnahmeerscheinung, nämlich seinen Lehrer Walther von Wartburg. Dieser war gleichsam sein Rettungsanker und zugleich leuchtender Leitstern. «Vieles verbindet mich mit Ihnen, verehrter Herr Professor von Wartburg. In den objektiv und subjektiv wenig erfreulichen Jahren, die unsere Jugend ausmachten, 1919-1923, waren Sie unser hervorragender und in seiner Strenge geliebter Lehrer», schrieb Eduard Vischer in einem Erinnerungsblatt zu dessen 80. Geburtstag, «Sie ermunterten durch Ihr Beispiel diejenigen ihrer Schüler, die Lehrer wurden, neben dem Unterricht doch der Wissenschaft nicht ganz untreu zu werden.»[1]

Wie sein Vorbild Walther von Wartburg, blieb auch Eduard Vischer, der 1929 bei Hermann Bächtold in Basel mit einer Dissertation über «Die Wandlungen des Verhältnisses der Schule zu Kirche und Staat in Basel von der Mitte des 18. bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts» promovierte, den Wissenschaften treu. «Der Studienabschluss […] hatte etwas Gutes und regte dazu an, in freien Stunden und gar im Ruhestand an grösseren und kleineren eigenen Arbeiten sich zu versuchen», befand er 1992 im Rückblick auf sein Leben. Wenn also spätabends noch das Licht in seinem Arbeitszimmer brannte, so lagen nicht nur Schulaufsätze auf seinem Pult, sondern auch Quellenmaterial für zahlreiche geschichtswissenschaftliche Arbeiten. Die Ferien waren damals noch kurz, die Stundenzahl hoch – neben Geschichte unterrichtete er die Fächer Latein, Griechisch und Deutsch. Trotzdem erschienen im Laufe seines Lebens über achtzig sorgfältig ausgearbeitete Aufsätze.

Im Aargau aufgewachsen

Eduard Vischer, der den Kanton Aargau als seine Jugendheimat bezeichnete, Basel als seine Vaterstadt, und durch Heirat und Schuldienst Wahlglarner war, umkreiste in seinen Forschungen die Schauplätze seines Lebens, eben: Aargau, Glarus und Basel. Dergestalt verschmolzen Leben und Werk, die fremde Geschichte und die eigene Biographie. Das 19. Jahrhundert war seine historische Heimat, mit gelegentlichen Abstechern in das 18. oder 17. Jahrhundert. Über die politische Entwicklung des Aargaus hatte er mehrere Studien verfasst, die anlässlich seines 70. Geburtstags in der Zeitschrift Argovia (1976) zur nachträglichen Ehrung wieder abgedruckt wurden. Die Früchte seiner langjährigen Forschungen zur Geschichte des Landes Glarus wurden 1983 im Sammelband Heimat und Welt – Studien zur Geschichte einer schweizerischen Landsgemeinde-Demokratie vereint.

Basel war zeitlebens Eduard Vischers Sehnsuchtsort. Dort ist sein Vater, Eduard Vischer-Heusler (1874–1947) geboren. Dieser studierte Theologie und wurde nach einem Vikariat in Burg bei Stein am Rhein[2] im Jahr 1900 nach Rupperswil im Kanton Aargau zum Pfarrer berufen. Es war kulturell ein grosser Sprung vom elterlichen, grossbürgerlichen Haus an der Langen Gasse in die ländliche Abgeschiedenheit von Rupperswil.

Hier in diesem einfachen Dorf von Kleinbauern und Fabrikarbeitern kam Eduard Vischer am 3. Dezember 1903 zur Welt. Als Ältester von insgesamt fünf Kindern fühlte sich Eduard für seine Geschwister verantwortlich. Wahrscheinlich musste er früh Verantwortung übernehmen, da die Mutter Emma Vischer-Heusler (1878–1958) oft krank war und sich zur Kur auf der Barmelweid befand. Vielleicht erklärt dies, warum Eduard Vischer wenig über seine Kindheit und Jugend erzählte. Stolz war er indes darauf, dass er zu Fuss über die Schafmatt von Aarau nach Basel marschierte.

Das geistige Klima des Rupperswiler Pfarrhauses beeinflusste ihn ebenso wie das ländliche Ambiente und die Natur in der Umgebung. Am stärksten prägte ihn jedoch der Garten und sein Baumbestand.

Eduard wird Lehrer, später Archivar

Nachdem er 1923 an der Kantonsschule in Aarau die Maturitätsprüfung bestanden hatte, studierte er in Basel, Paris, Genf und Heidelberg Geschichte. Nach der Promotion 1931, also mitten in der Wirtschaftskrise, ging er in den Schuldienst. Die Stationen waren Solothurn und Rheinfelden, bis er 1934 eine feste Anstellung in Glarus fand. Eduard Vischer führte einige Jahre lang ein Junggesellenleben im Haus von Anton Landolt, bevor er seine künftige Frau Ida Jenny (1912–1994) kennen lernte, Tochter von Daniel und Babigna Jenny-Squeder. Im Sommer 1941 fand die Hochzeit statt. 1946 zog die nunmehr fünfköpfige Familie in das Haus Zur kleinen Wiese in Glarus. Eduard Vischer war ein ausgesprochener Gartenfreund und betrachtete seinen englischen Garten in einem theologischen Sinne als ein Stück der Schöpfung, die der Mensch massvoll nachahmt.[3] Seine beiden Töchter, Ida (*1942) und Elisabeth (*1943), regte Eduard Vischer an, selber einen Platz im Garten zu bepflanzen. Und wenn die Familie im Engadin eine Wanderung unternahm, so war immer ein Blumenbestimmungsbuch im Rucksack dabei. Seinen drei Kindern, der Sohn Eduard Jakob wurde 1945 geboren, las er viel vor, namentlich aus dem Werk von Johann Peter Hebel und Jeremias Gotthelf. Ferner war ihm das Bergsteigen wichtig, obwohl er nicht sehr sportlich war.

Die letzten beiden gemeinsamen Jahrzehnte verbrachten Eduard Vischer und seine Gattin Ida im Haus «Gwölb» in Ennenda.

Eduard Vischers Schulamt war eine Lebensstelle. Mitte der 1960er-Jahre erhielt er allerdings das Angebot, das Landesarchiv und die Landesbibliothek Glarus zu leiten. In den Archivgewölben begann er die Bestände zu erschliessen, Register anzulegen, all dies mit der Absicht, dass die Neuordnung zu Forschungen anregen würde. Sein eigener Forschungstrieb liess auch nach seiner Pensionierung 1969 nicht nach. Bis zu seinem Tod 1996 blieben ihm beinahe drei Jahrzehnte reger wissenschaftlicher Tätigkeit. Seine bedeutendste Leistung im aktiven Ruhestand war die umfangreiche, fünfbändige Edition der in ganz Europa zerstreut archivierten Briefe des dänisch-preussischen Diplomaten Barthold Georg Niebuhr (1776–1831).

Noch als Student begründete er mit befreundeten Studienkollegen den «Historischen Zirkel Basel», mit dem Ziel, die neusten historischen Forschungen zu diskutieren. Während Jahren war er auch dessen Präsident. Ferner setzte er seine Kräfte im Verein Schweizerischer Geschichtslehrer (VSGS), in der Allgemeinen Geschichtsforschenden Gesellschaft und im Kuratorium Troxler ein. Als langjähriger Präsident des Historischen Vereins des Kantons Glaruswar er für viele Vorträge, aber auch für die Herausgabe des Jahrbuchs des Historischen Vereins zuständig.

Eduard und Ida Vischer-Jenny bei der Ehrung zum Erhalt des Kulturpreises des Kantons Glarus, 1980.

Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde er zweimal ausgezeichnet. 1969 erhielt er den Wissenschaftspreis der Stadt Basel und 1980 den Kulturpreis des Kantons Glarus. Nach dem Tod seiner Frau Ida verbrachte Eduard Vischer die letzten beiden Jahre seines Lebens im Ländliin der St. Alban-Vorstadt in Basel. Welchen Stellenwert die Forschung in seinem Leben einnahm, zeigt sich darin, dass nach seinem Tod ein namhaftes Legat an den Historischen Verein des Kantons Glarus ging. Zu Lebzeiten hatte er auch der Stiftung der Familie Vischer eine Spende zukommen lassen, um Familiengeschichte weiter zu erforschen. Zu dieser Geschichte gehört er selbst.

 

Anmerkungen

[1] Erinnerungsblatt zum 80. Geburtstag von Herrn Prof. Walther von Wartburg. (1968), UB, Nachlass 299 Eduard Vischer, A 567, Walther von Wartburg. Beilage 2 zu A 567.

[2] Willy Pfister, Die reformierten Pfarrer im Aargau seit der Reformation 15-1985, in: Argovia, Bd. 97, 1985, S. 151 u. S. 188, Anm 52.

[3] Christoph H. Brunner, Eduard Vischer zum 85. Geburtstag, in: Jahrbuch des Historischen Vereins des Kantons Glarus, S. 47–54, hier: 47–48.

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