Fritz Vischer-Ehinger (1875–1938)

Historiker und Autor

 

Friedrich Karl Fritz Vischer-Ehinger, 29.9.1875 bis 21.12.1938,
Stamm D

Helene Ehinger, 26.5.1886 bis 24.1.1948

 

von Fritz Vischer

Meinem Grossvater ist es zu verdanken, dass die Geschichte unserer «Basler Familie Vischer» in einer umfassenden Chronik, Die Familie Vischer in Colmar und Basel, seit ihrem Anfang im Jahre 1546 dargestellt ist. Sie porträtiert die Deszendenten des Urvaters Leonhard Vischer-Drisch (1514-1596) und stellt sie in ihren historischen Zusammenhang. Er deckt damit auf «375 Seiten Text, 4 Stammtafeln, 79 Tafeln und 18 Text-Illustrationen» die Familiengeschichte bis zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert, somit bis zur Generation 11, teilweise auch 12,ab. Auf den aus den angelsächsischen Ländern kommenden Pietismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Teile der Familie geprägt hat, tritt er allerdings nicht näher ein. 

Die Arbeit ist nach allen Regeln der Historikerkunst zusammengestellt und verfasst. Sie steht für den Autor, entnehmen wir dem Nachruf des historisch bewanderten Juristen und Ehrendoktors, Prof. Dr. Eduard His: «Gewissenhaftigkeit war ein Grundzug seines Wesens; sie trat zu Tage in einem liebevollen Eingehen auf die archivalischen Urkunden und in einem häufigen Redenlassen der Quellenstellen, was den Eindruck der Zuverlässigkeit seiner Arbeiten stets noch erhöhte.» Das schöne und aufwändig hergestellte, kiloschwere Werk erschien 1933. Wer es nicht geschenkt bekam, konnte es für 50 Franken erwerben, ein stolzer Preis für damalige Verhältnisse.

Die Vischer-Chronik deckt die Zeit vom Ursprung 1546 bis in die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert ab.

1938 entsteht die Familienstiftung

Im Vorwort seines Werks bedankt sich mein Grossvater bei allen, die ihm geholfen haben, unter ihnen auch bei Ernst Vischer-Geigy (1878-1948), Stamm C, Eberhard Vischer-Koechlin (1865-1946), Stamm A und Wilhelm Vischer (1890-1960), Stamm A. Die drei waren massgeblich beteiligt, 1938 die Stiftung der Familie Vischer, Benediktscher Ast ins Leben zu rufen[1]. Den Beinamen «Benediktscher Ast» erhielt sie, weil sich nur die Nachkommen von Benedikt Vischer-Preiswerk (1779-1856), also der heutigen Stämme A, B und C, ihr anschlossen.

Erst am 15. März 1948, also 10 Jahre nach der Gründung, konnte Wilhelm (Willi) Vischer nach der Sitzung des Stiftungsrats ins schwarze Protokollbuch eintragen: «Nach reiflicher Diskussion erklären sich alle Anwesenden damit einverstanden, Vertreter der ‹Gässlein-Linie› zu einer gemeinsamen Sitzung einzuladen.» Gemeint waren die Deszendenten von Rudolf und Anna Maria Vischer-Le Grand[2], die über das von der Rittergasse abzweigende Seitengässlein[3] zum Hohenfirstenhof gelangten. In der Folge beteiligten auch sie sich an der Stiftung. Zu ihnen gehörte auch Egon Vischer (1883-1973), Stamm D, sowie Albert Vischer[4] (1932-1986), Stamm E. Notariell von Dr. jur. Marcus Löw beurkundet, hiess die Stiftung fortan Stiftung der Familie Vischer, Linie hinter dem Münster. Die vor dem Münster, sprich vom Blauen Haus[5], blieben ihr weiter fern.

Im Hohenfirstenhof aufgewachsen

Zehn Jahre zuvor, 1923, schenkte Fritz Vischer-Ehinger seiner Mutter zu ihrem 70. Geburtstag die ebenfalls sorgfältig erarbeitete Schrift Der Hohenfirstenhof in Basel. Diese Liegenschaft an der Rittergasse 19 ob dem Rhein erwarb sein Urahne Johann Jakob Vischer-Stähelin (1750-1825) 1786. Er ist der Urvater der Familienstämme A, B, C, D und E. In diesem ehemaligen Adelshaus wuchs Fritz als zweites von vier Kindern der Ehegatten Fritz und Amelie Vischer-Bachofen auf. Die Basler Schulen durchlief er, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, «schlecht und recht». Danach studierte er klassische Philologie, Geschichte und Kunstgeschichte in Basel und Berlin, gefolgt von einem offenbar anregenden Aufenthalt in Paris.

Das Studium, berichtet er in seinen Personalien weiter, «bereitete mir, der ich nicht mit aussergewöhnlichen Geistesgaben ausgerüstet war und namentlich gewisse Hemmungen hatte, mich in unserer Schriftsprache gewandt und präzis oder klar auszusprechen, ausserordentlich Mühe, und ich war froh, als ich im Sommer 1904 den Doktorhut erhielt», und zwar für seine Dissertation über den Kanton Basel von der Auflösung der Nationalversammlung bis zum Ausbruche des zweiten Koalitionskrieges (April 1798 bis März 1799). Diese und weitere Schriften lassen von der Mühe, die er beklagt, nichts erkennen. Im Gegenteil: «Ihre Zahl und ihr Umfang mag als nicht sonderlich gross bezeichnet werden», bemerkte His und doppelte nach: «doch was er veröffentlichte, war ausserordentlich reiflich überlegt und sorgfältig redigiert».

1912 habilitierte Fritz Vischer «mehr einem Wunsche meiner Eltern und meines Freundes Prof. J. Schneider folgend als aus wirklichem innerem Trieb» an der Uni Basel. Er spezialisierte sich auf die Epoche der Mediation und Restauration, also darauf, wie sich die Schweiz und namentlich Basel im Gefolge der Französischen Revolution entwickelte.

Zurückhaltend und bescheiden

Im Grunde war er Privatgelehrter, diagnostiziere ich heute als sein Enkel, der ihn nur vom Hörensagen und Überlieferungen kennt. Ich mutmasse ferner, dass ihn sein Grossonkel, Johann Jakob Bachofen-Burckhardt (1815-1887), beeinflusste. Der gelernte Jurist begnügte sich damit, an der Universität als Privatdozent zu wirken. Im Übrigen widmete er sich seinen Interessen und hinterliess ein umfangreiches Werk, dessen Juwel das Mutterrecht ist: Dem Patriarchat war das Matriarchat vorangegangen, lautet Bachofens geschichtstheoretische These, die im feministischen Diskurs noch heute nachhallt. Mein Vater verwies immer wieder auf den «Mutterrechtler, ein gescheiter Mann». Vergleichbaren Ruhm hat mein Grossvater nicht erlangt, scheint ihn allerdings auch nicht gesucht zu haben. Er war bescheiden, drängte sich nicht so vor, wie es das leistungsorientierte 20. Jahrhundert erfordert hätte. So erhielt er erst 1934 den Titel des ausserordentlichen Professors. Hundert Jahre vorher hätte er leichter so leben können wie «Jacques», der Grossonkel.

Fritz Vischer-Ehinger am Arbeitstisch an der Langen Gasse.

Dr. Paul Roth (1896-1961), seines Zeichens ebenfalls Historiker und Staatsarchivar in Basel, beschreibt das in seinem Nachruf in der «Zeitschrift für schweizerische Geschichte» so: «Mit dem am 21. Dezember 1938 nach längerer Krankheit in Basel verstorbenen Prof. Dr. Fritz Vischer ist kein überragender akademischer Lehrer und auch keine von Energien überschäumende oder nach Geltung sich drängende Persönlichkeit ins Grab gesunken. Vischers inneres Wesen war vielmehr gekennzeichnet durch eine vornehme Zurückhaltung und eine heitere innere Überlegenheit; da er Zeit seines Lebens frei von äusseren Lebenssorgen war, blieb er der Privatmann, der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen oder menschlichen Kämpfen aus der Ferne betrachtend folgte.»

Der «Vischer mit V», von Haus aus reich und etwas hochmütig: Diese Projektion, der Menschen namens Vischer in Basel noch heute ausgesetzt sind, schimmert hier durch. Wohlwollender beurteilt, malen Roths einleitende Sätze das Bild eines Bohémiens, doch dafür war Fritz Vischer-Ehinger wohl zu pflichtbewusst. Er war vielerorts ehrenamtlich tätig, so in der Denkmalpflege, als Kassier des Historischen Museums, als Schreiber und Archivar der Feuerschützen-Gesellschaft, als Mitglied der Bürgerkommission der Basler Bürgergemeinde und als Vorgesetzter der Ehrenzunft zum Schlüssel. «Überall», resümiert His, «war er wegen seiner Opferwilligkeit und seiner heiteren Geselligkeit ein willkommener Mitarbeiter und Kamerad». Überdies wirkte er in der Historischen und Antiquarischen Gesellschaft mit, zunächst als Mitglied und Referent, später im Vorstand. Ab 1920 redigierte er deren Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde. Paul Roth folgte ihm ab 1939.

Dreissig Jahre glücklich verheiratet

1908 vermählte er sich mit Helene Ehinger, der zweiten Tochter des Bankiers Alphonse Ehinger und seiner zweiten Frau Caroline Helene Heusler. Es war, wie er in seinem Rückblick kurz vor seinem Tode 1938 festhält, «eine überaus glückliche Ehe, aus der vier Kinder, drei Töchter[6]und ein Sohn hervorgingen». Fritz, der Sohn und mein Vater, war der älteste. 1954 wurde er «Associé», also Teilhaber der Privatbank Ehinger & Co., die dreissig Jahre später an den Schweizerischen Bankverein[7] verkauft wurde.

Das Ehepaar Vischer-Ehinger lebte an der Langen Gasse 8, in einem geräumigen Reihenhaus. Erbaut hatte es Egon, sein jüngerer Bruder. Es steht noch heute. Erst 1938 zogen sie in den Hohenfirstenhof um, nachdem auch die Mutter verstorben war. Dort richtete er sich eine Bibliothek mit rund 4000 Bänden ein. Die dahinter gelegene «Rauchstube» wurde sein Studierzimmer. Es war ihm nicht vergönnt, diese Räumlichkeiten lange zu geniessen.

Fritz Vischer

Prächtiger Innentitel der Chronik.

 

Anmerkungen

[1] mit ihnen Benedict Vischer-Koechlin, Adolf Vischer-von Bonstetten, Eduard Vischer-Heusler, Max Vischer-von Planta  
[2] Urahnen der Stämme D und E
[3] heute allgemein bekannt, weil sich dort das Zivilstandsamt befindet.
[4] Dr. jur. Albert Vischer-Heinrich war der Enkel von Albert Vischer-Beck, Urvater des Stamms E der Familie Vischer, der ebenfalls zur «Gässlein-Linie» gehörte.
[5] Reichensteinerhof am Rheinsprung 18, ursprüngliches Domizil des Stamms F, 1943 der Stadt Basel verkauft.
[6] Helene Elisabeth Charlotte, Marie-Amélie und Irene
[7] In der heutigen UBS AG aufgegangen.

 

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