Johann Jacob «Beppi» Vischer-Messer (1914–1985)

Ingenieur und Berufsoffizier

Johann Jacob Beppi Vischer-Messer, 12.9.1914 -12.1.1985,
Stamm C

Klara Erika Vischer-Messer, 15.6.1925 -14.7.1998

 

von Fritz Vischer

«Ist der ein Verwandter von dir?», fragten sie mich 1975 mehr als einmal in der Rekrutenschule in Liestal. «Weit entfernt», wiegelte ich als Armee­muffel ab. Das traf durchaus zu: Sechs Generationen lagen zwischen mir und dem ranghöchsten Schweizer Offizier, Johann Jakob Vischer. Der ge­meinsame Urvater Vischer-Stähelin war 1750 geboren und hiess ebenfalls Johann Jakob. Rundum redlich war es trotzdem nicht, was ich sagte: Ei­nige Monate zuvor, im November 1974, war ich ihm an der zweijährlichen grossen Familienversammlung im Basler Restaurant Kunsthalle begegnet. Ob nah oder fern, die Vischer zelebrieren ihre Verwandtschaft, sind sich verbun­den und duzen sich.

Der hohe Offizier ist ein zugänglicher Vetter

«Vetter Beppi» erschien im Anzug, nicht in Uniform, erst recht nicht im Stechschritt. Er war charmant, wirkte gelöst, wie ein vertrauter Vi­scher’scher Vetter. Er stand damals im dritten Amtsjahr als Generalstabs­chef der Schweizer Armee. Kurz nachdem er diese Aufgabe angetreten hatte, erklärte er dazu am 18. Februar 1972 an einer Pressekonferenz: «Die Aufgaben des Generalstabschefs sind, in wenig Worten ausgedrückt: ‹Er ist zuständig für die Kriegsvorbereitung, soweit nicht der Ausbildungs­chef oder Rüstungschef zuständig ist.›»

Korpskommandant «Beppi» Vischer.

Armee und Wirtschaft spielen sich zu

Er hatte also dafür zu sorgen, dass wir Schweizer gerüstet sind, wenn’s kriegerisch brenzlig wird. Kavallerie brauchte es dafür nicht mehr: «Wäh­rend sich der Mensch gegen das Feuer schützen kann, ist das Pferd die­sem Feuer sozusagen schutzlos preisgegeben. Das sollte gerade die echten Tierfreunde veranlassen, die Pferde von der Kampffront abzuzie­hen», liess er dazu verlauten. Dies umzusetzen, erwies sich als erste grosse Hürde, die Beppi in seiner neuen Funktion zu nehmen hatte: Mit ei­ner Petition, unterschrieben von 432’340 Bürgern, wehrten sich die militä­risch orientierten Pferdefreunde bis zuletzt. Sie belegten damit, wie tief die Armee in weiten Kreisen der Bevölkerung verwurzelt war, zur heimatlichen Folklore gehörte. Es galt: Wer was taugt, ist Soldat. So war jeder, der es beruflich zu was bringen wollte, gut beraten, sich gleichzeitig in der vaterländischen Zucht- und Ordnungs­schule zu bewähren, am besten als aufsteigender Milizoffizier mit mög­lichst vielen Diensttagen und Streifen am Hut. Nicht nur Nostalgiker, auch nüchtern denkende Vertreter von Wirtschaft und Verwaltung waren mit der Armee stark verbandelt und beförderten sich gegenseitig. Sie bildeten die als «Filz» verpönte bürgerliche Elite des Landes. Der Begriff hat sich bis heute erhalten.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums standen vor und in den Kasernen die Soldatenkomitees die sich gegen den militärischen Drill, die Freiheitseinschränkungen und die allgemeine Wehrpflicht auflehnten. Sie kritisierten, dass in den Übungen der «Feind» immer aus dem Osten kam. Viele waren sie nicht, erfolgreich auch nicht. Etwas besser erging es den zahlreicheren Skeptikern, die sich auf die weltpolitische Ebene berie­fen. Dort standen die Zeichen auf Entspannung und friedliche Koexistenz. «Linke» waren sie gleichwohl, befand der «Filz». Es war die Zeit, da Kapi­talismus und Sozialismus gegeneinander wetteiferten. Kalter Krieg herrschte, obschon sich die Diplomaten um «Détente» bemühten.

In ei­nem 1975 gehaltenen Referat äusserte sich Johann Jakob Vischer dazu: «Die Gegenwart wird zwar beherrscht von diplomatischer Geschäftigkeit im Zeichen der Entspannung. Die militärpolitischen Realitäten stehen dazu aber in einem deutlichen Gegensatz.» Nach einigen weiteren Ausführun­gen fährt er fort: «Parallel zu dieser Entwicklung im globalstrategischen Bereich wurde in den letzten Jahren, selbst nach Aussage sowjetischer Staatsmänner und Militärs, das sowjetische Militärpotential beträchtlich verstärkt.» Seinem Auftrag folgend, strebte er deshalb an, die «Erdtrup­pen» besser zu mechanisieren und der Luftwaffe zu einem zeitgemässen Kampfflugzeug zu verhelfen, denn «eine schlagkräftige Flugwaffe ist einer der entscheidenden Faktoren für die Glaubwürdigkeit unserer Verteidi­gung». Dank ihm beschaffte die Eidgenossenschaft schliesslich 98 «Northrop F-5E Tiger II», und zwar ohne Pannen und Peinlichkeiten. Ab 1978 schützten sie die Schweiz. Sechs Jahre zuvor, im Dezember 1972, stimmten auch die Eidgenössischen Räte endlich zu, die Pferde vom Mili­tärdienst zu befreien. Zwei Jahre zuvor, im August 1976, flog Brigadier Jeanmaire auf. Der Berufsoffizier hatte den Sowjets sensitive Informatio­nen übermittelt. Diese Affäre bekleckerte das ansonsten saubere Reinheft von Generalstabschef Vischer, kurz bevor er Ende 1976 altershalber ohne­hin abtrat.

«Monsieur» geht seinen eigenen Weg

Als oberster Offizier der Schweizer Armee gehörte Beppi Vischer zwangs­läufig zum «Filz». Er verkam indes nicht zur Reizfigur, war kein Haudegen, blieb immer konziliant, wie es auch aus seinen Publikationen und Refera­ten hervorgeht. Ein Milizoffizier, der dienstlich mit ihm zu tun hatte, bestä­tigte mir unlängst: «Er war eben ein Monsieur.»

Ins Leben trat dieser «Monsieur» 1914 als erster von vier Söhnen des Ehepaars Paul und Elisabeth Vischer-Geigy. Sein Vater war Architekt. Die Familie lebte damals im Sommer im Landgut Klein-Riehen, den Winter verbrachte sie in einer geräumigen Wohnung an der Dufourstrasse 53. Es war das monumentale Hauptgebäude der heutigen Basler Versicherung, aktuell unter anderem Redaktionssitz der Basler Zeitung. Erbaut hatte es 1910 sein Vater, der mit seinem Bruder das familiäre Büro E. & P. Vischer Architekten führte. Die Primarschule besuchte er im Sevogelschulhaus, das sein Grossvater entworfen hatte.

Seine Mutter entstammte der Industriellen-Familie Geigy, war eine Uren­kelin des Gründers der heutigen J.R. Geigy AG, die sich ab 1753 nach und nach zum in­ternationalen Chemie- und Pharmakonzern entwickelte[1]. Johann Jakob, alias «Beppi», war mithin in ein gutes Nest gefallen. Trotzdem – vielleicht gerade deswegen? – zog er es vor, nach der Matura einen eigenen Weg einzuschlagen. An der ETH in Zürich bildete er sich zum Bauingenieur aus.

Nach seiner Ausbildung arbeitete er zunächst beim Basler Ingenieurbüro Gruner. Vermittelt von der ETH, folgte ein Studienaufenthalt in den USA, den er nach dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 abrupt abbrechen musste. In die Schweiz zurückgekehrt, hatte er wie viele andere einzurü­cken und bis im Frühsommer 1940 Aktivdienst zu leisten. Als Ingenieur war er bei den «Brückenbauern», den Genietruppen. Nachdem er zwi­schenzeitlich bei der Kraftwerke Oberhasli als Bauleiter gearbeitet hatte, gab er sich beruflich 1943 einen neuen, für Basler Verhältnisse ungewöhn­lichen Drall: Als Oberleutnant trat er in den Instruktionsdienst. Er wurde Berufsoffizier und stieg, Grad um Grad, bis an die Spitze auf. 1969 berief ihn der Bundesrat zum Kommandanten des Feldarmeekorps 2, auf Anfang 1972 zum Chef des Generalstabes der Armee. Zu seinem Führungsstil sagte Korpskommandant Kurt Bolliger in seiner Gedenkrede: «Er vergass nie, einem jeden genügend Spielraum für eigene Initiativen zu gewäh­ren.» Das bestätigt: Er war eben ein Monsieur, dazu, wie Bolliger an ande­rer Stelle ausführt «einfühlsam, fröhlich, schlagfertig».

Beppi salutiert beim Besuch von Queen Elizabeth II anlässlich der Eröffnung der Gartenausstellung Grün 80 in Brüglingen.[2]

1980, fünf Jahre vor seinem Tod, besannen sich die Bundesbehörden gerne zurück auf diesen pensionierten Monsieur. Sie zogen den distinguierten und sprachgewandten ex-General bei, um die Königin von England, Queen Elisabeth II, würdig und stilvoll empfangen zu können. Sie weilte auf Staatsbesuch in der Schweiz. Beppi salutierte militärisch, erwies dem fremden Staatsoberhaupt gekonnt die Ehre. Manche belächelten es, dass er den «Grüss-August» spielte, erzählt seine Tochter schmunzelnd, vermutet aber, dass es ihm durchaus Spass bereitet habe. Gefragt, wie sie denn sei, diese «Queen», soll er geantwortet haben: «Sie isch e weneli e Langwiligi.»

Die zivile Welt lebt weiter

Militärisches und Ziviles flossen in der Schweiz ineinander. So lernte Hauptmann Vischer 1947 im Löwen im bernischen Fraubrunnen seine künftige Frau, das elf Jahre jüngere «Trachtemeitschi» Erika Messer, ken­nen. Schon ein Jahr später heirateten sie. Der 1950 geborene Sohn war wieder ein Johann Jacob (Hans-Joggi), nannte sich im späteren Leben in­dessen trendig-modern «Hanjo». Er war, den familiären Spuren folgend, Architekt. 2022 verstarb er, während seine zwei Jahre jüngere Schwester, Christine Vischer, mit ihrem Mann, Peter Schmid, in Basel lebt. Nicht ir­gendwo, sondern an der Langen Gasse in einer Wohnung auf dem Areal des «Karpf», der in der Gründerzeit erbauten Villa der Grosseltern Vischer.

Auf akademischer Ebene blieb Beppi mit der ETH verbunden. 1964 ent­stand dort das Forschungsinstitut für militärische Bautechnik, das er mass­geblich prägte. Der direkte Draht zur Wirtschaft war familiär gegeben: 1966 trat er dem Verwaltungsrat der J.R. Geigy AG bei. Als Ge­ne-ralstabschef gab er dieses Mandat freiwillig ab, um zu vermeiden, dass ihm Interessenkonflikte nachgesagt werden könnten. 1977 trat er dem obersten Leitungsgremium des nunmehr vereinten Konzerns Ciba-Geigy AG wieder bei. 1984 zog er sich altershalber zurück. Wenig später, im 71. Lebensjahr, erlag er vergleichsweise jung einer seltenen und wenig er­forschten Krankheit.

 

Anmerkungen

[1] Ging später in Ciba-Geigy, dann Novartis bzw. BASF auf.

[2] Foto mit Queen Elizabeth II: Still aus dem Film «Made in Switzerland» von Erich Langjahr, 1981.

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