Sir Hanns Vischer-de Tscharner (1876–1945)

Im britischen Kolonialdienst und
«Sohn der Hausa» in Nordnigeria

Johannes «Hanns» Vischer-de Tscharner, 12.9.1876-19.2.1945,
Stamm B

Isabella Blanche Sophie Vischer-de Tscharner, 14.11.1884-1963

 

von Lilo Roost Vischer[1]

Hanns Vischer durchquerte 1906 mit einer eigenen Kamelkarawane die Sahara von Tripoli zum Tschadsee, war 1925 Mitgründer des International Institute of African Languages and Culturesin London und wurde 1941 von König George VI. zum Ritter geschlagen. Johannes «Hanns» Vischer wurde 1876 in Basel geboren, als fünftes Kind des Kaufmanns und Wohltäters Adolf Eberhard Vischer und seiner Frau Caroline Rosalie Sarasin und starb 1945 im englischen Newport Pagnell. Er war verheiratet mit Isabelle de Tscharner und hatte vier Söhne; Claude (1912), Thylbert (1913), John (1915) und Peter (1920).

Die Jahre des Aufbruchs

Hanns Vischers Grossvater Wilhelm Vischer-Bilfinger war Professor für Griechisch und zeitweilig Rektor der Universität Basel. Er betätigte sich auch politisch, als Mitglied des Grossen und später des Kleinen Rats von Basel. Wilhelm Vischer berief 1869 Friedrich Nietzsche als Professor für Klassische Philologie an die Universität. Er war mit Nietzsche freundschaftlich verbunden und lud ihn regelmässig in sein Haus an der Rittergasse 29/31 ein. Der Vater von Hanns, Adolf Eberhard Vischer-Sarasin, war ein erfolgreicher Seidenhändler, der sich längere Zeit in China aufhielt und als der beste Seidenkenner der Schweiz galt. Später schloss er sich der vom deutschen Pietismus und dem englischen Methodismus beeinflussten evangelikalen Bewegung an und wurde konsequent zum Wohltäter. 1885 verkaufte er in Absprache mit seiner Frau und den Kindern[2] das von Bruder Eduard[3] erbaute prächtige Haus an der Gartenstrasse, wechselte an den Steinengraben und gab das Familienvermögen für karitative Zwecke aus. Ausschlaggebend für seine religiöse Wende war die Teilnahme an der Berner Allianzgebetswoche von 1875 mit dem Motto «Heiligung durch den Glauben». Gut zwanzig Jahre später, 1897, übernahm er mit seiner Frau Rosalie die Leitung des Berner Diakonissenhauses, die er bis zu seinem frühen Tod 1902 innehatte[4].

Hanns Vischer in London.

1895, mit knapp zwanzig Jahren, brach Sohn Hanns nach England auf, wo er zuerst ein Jahr am St. Lawrence’s College in Ramsgate Englisch lernte und dann am Emmanuel College in Cambridge Sprachwissenschaften studierte, mit dem Berufsziel Missionar. 1899 kam er nach Tripoli, um die Sprache Hausa zu lernen und seine missionarische Ausbildung fortzusetzen. 1900, mit nur 24 Jahren, wurde er von der Church Missionary Society nach Lokoja am Zusammenfluss des Niger und des Benue in Nordnigeria geschickt, einem Gebiet, das kurz zuvor von der Royal Niger Company an die britische Kolonialverwaltung übergeben worden war. Nur kurz dauerte sein Einsatz für die Missionsgesellschaft, der durch heftige Tropenkrankheiten gezeichnet war. Im Juni 1902, während eines Heimaturlaubs, starben sowohl sein Vater als auch sein jüngster Bruder Wilhelm. Er schob seine Abreise nach Nigeria hinaus, um noch länger bei der Mutter zu bleiben[5]. 1903 wechselte Hanns Vischer zum British Colonial Service in Nordnigeria. Die Aufnahmebedingungen waren hart: die Erlangung der britischen Staatsbürgerschaft, der Erwerb eines Diploms der Royal Geographical Society, das fliessende Sprechen des Hausa und Kenntnisse in den Sprachen Kanuri und Fulfulde wurden von ihm verlangt. Ausserdem musste er Grundkenntnisse der islamischen Rechtsprechung erwerben. Er meisterte diese strengen Anforderungen und begann als Regierungsassistent. Bereits 1905 wurde er Verantwortlicher für die damalige Provinz Bornu[6].

Zu seinem religiösen Elternhaus hatte Hanns Vischer ein entspanntes Verhältnis, er fand seinen eigenen Umgang mit dem Glauben. Kirche wollte er strikt vom Evangelium trennen. «Um in Afrika vollständig einzudringen, muss das Evangelium rein von allem Europäischen gepredigt werden»[7], schrieb er seinem Bruder Adolf. Bischof M. B. Furse brachte an der Gedenkfeier anlässlich des Todes von Sir Hanns im März 1945 dessen weit gefasste religiöse Sicht wie folgt auf den Punkt: «he saw the Vision of God, as the One Father of the whole human race; and in it the Vision of all nations, kindred people and tongues, living together»[8]

Die Reise quer durch die Sahara von Tripolis bis nach Nordnigeria (durchgezogene rote Linie).

Quer durch die Sahara – der Abenteurer und Entdecker

1906, auf der Rückreise eines Heimatbesuchs, nahm Hanns Vischer den Landweg und durchquerte während fünf Monaten mit einer selbst finanzierten Karawane die Sahara, und zwar auf der sogenannten Todesstrasse, einer alten, stillgelegten Sklavenhandelsroute, mit ausgebleichten Knochen von Menschen und Kamelen am Wegesrand. Seiner Karawane von vierzig Kamelen und zwei Pferden schlossen sich Mekkapilger auf dem Heimweg an. Befreite Sklaven wurden zu seiner Eskorte, sie wurden bezahlt und durften ihre Frauen mitnehmen. Um die Gefahren der Wüste zu bestehen und alle Teilnehmenden sicher ans Ziel zu bringen, benötigte Vischer nicht nur Wissen und Entschlossenheit, sondern auch eine grosse Portion Menschenkenntnis und Offenheit. Die Wüste in ihrer ganzen Einzigartigkeit schien ihn förmlich zu überwältigen: «it’s greatness surpasses my poor pen» [9]. Seine Reiseerlebnisse waren mit historischen und ethnologischen Erläuterungen und selbst angefertigten Skizzen angereichert. 1910 wurden sie unter dem Titel Across the Sahara publiziert.

«Our caravan leaving Tejerri» – Foto aus dem Sahara-Buch.

Zwei Episoden picke ich heraus. In der türkischen Garnisonsstadt Murzuk wurde die Karawane nach einem längeren Zwischenhalt herzlich, unter Tränen und mit Sorge um ihre Sicherheit verabschiedet: «Scarcely a month before had I arrived, a stranger, not knowing a soul, and here was half the town around me praying for a good journey. (…) When the sun rose through the palms, an old sheikh solemny prayed the Fatiha and all the vast crowd said ‘Amen’»[10].

Einmal beschreibt er eine heftige Besessenheitsszene der mitreisenden «Prophetin» Hauwa. Der äussere Anlass bestand in einer bedrohlichen Situation, weil sich kämpferische Tuareg in der Nähe aufhielten und die für den Schutz zuständigen Tubu zeitweilig abwesend waren. Hauwa wurde vom «Teufel» heimgesucht, ihr ganzer Körper wurde geschüttelt, sie stiess katzenartige Schreie aus. Es brauchte die vereinigten Kräfte der Eskorte und der Pilger, um die Besessene am Boden zu halten. Der Teufel in ihr rief nach Vischer, dieser wurde ins Zelt gerufen. Sie teilte ihm mit, dass er als «Nasrani», als Christ und Gottesmann, nichts zu befürchten habe. Aber er dürfe kein Essen von den Tubu annehmen und müsse immer das Gewehr in der Hand behalten. Die ganze Szene wurde von leisem rhythmischem Trommeln begleitet. Am Abend beruhigte sich das Lager wieder, es gab ein reichhaltiges Festessen und Hanns Vischer überbrachte der Prophetin Hauwa als Dank viel Zucker und Tee. Sie habe mit ihren Prophezeiungen mehr zur Entschärfung der Situation beigetragen als «thousand threats and promises on my part could have done»[11].

1910 erschien das Buch über die abenteuerliche Saharadurchquerung.

1907 wollte Hanns Vischer die Sahara nochmals durchqueren, dieses Mal in der umgekehrten Richtung, von Nigeria aus nordwärts. Der Verantwortliche der Provinz Bornu verweigerte jedoch sein Einverständnis: «Dear Vischer, I prefer my staff to do the work they are paid for, rather than seek personal kudos or geographical advancement in foreign territory»[12]. Gleichzeitig bekam Hanns Vischer ein verlockendes berufliches Angebot, die Reise fand also nie statt. Sie wurde aber 2001, fast hundert Jahre später, vom britischen Journalisten und Umweltschützer John Hare nachgeholt. Hare war in den 1970er-Jahren auf Vischers Werk Across the Sahara gestossen. «I loved his tale of stirring encounters in terrible desert wastes, where no water could be found for days and where oases were few and far between»[13].Hare wollte mittels seiner Durchquerung der Sahara den in Vergessenheit geratenen Entdecker Hanns Vischer in Erinnerung rufen. Er fasste seine Reise wie folgt zusammen: Vom Tschadsee in Nordnigeria über Niger und Libyen nach Tripoli, 1’500 Meilen, 3 ½ Monate Dauer, 25 Kamele, 12 Männer. Vier Tuareg nahmen an seiner Karawane teil, dies im Gegensatz zu Vischers Karawane, als Tuareg den Ruf feindlicher Wüstenplünderer hatten und gemieden wurden.

Mit eigener Karawane durch die Wüste zu ziehen, war nicht das einzige Abenteuer von Hanns Vischer. In seinen frühen Jahren in Cambridge ruderte er in einem Boot von Rotterdam nach Basel, den Rhein aufwärts gegen die Strömung. In der Anfangszeit in Nordnigeria erkundete er immer wieder allein die Umgebung. 1902 wurde er am Ufer des Benue aufgefunden, halb tot und mit hohem Fieber. Er erhielt danach einen Heimaturlaub von sechs Monaten, den er mit einem Fussmarsch durch den Busch von Ibadan nach Lagos antrat[14].

Dan Hausa und ein Schulsystem für Nordnigeria

1908 wurde Hanns Vischer nach Kano versetzt, einem wichtigen Handelsort. Seine Aufgabe bestand darin, ein Schulsystem aufzubauen, das auf den traditionellen Kenntnissen und dem religiösen Hintergrund der Hausa fusste. Er begann mit einer Schule in Nassarawa, die zwölf Schüler im Alter von sechs bis sechzig Jahren aufnahm und an der einheimische Handwerker unterrichteten. Vischer verfasste Unterrichtsmaterial in Hausa mit eigenen Zeichnungen[15]. Es gelang ihm nicht nur, das Misstrauen der herrschenden Emire abzubauen, sondern ein Schulsystem zu errichten, das Pioniercharakter für ganz Westafrika hatte. 1910 wurde Hanns Vischer zum ersten Erziehungsdirektor Nordnigerias ernannt, für ein Gebiet von gut zehn Millionen Einwohnern. Sein Freund Alfred Kober schrieb dazu: «Dieses auf den Grundlagen der einheimischen Negerkultur, dem eingeborenen Handwerk und der Freude an alter Kunstübung aufgebaute koloniale Erziehungssystem, das in der Folge für andere Kolonien Afrikas als Vorbild benutzt wurde, war das persönlichste Lebenswerk Vischers»[16].

Das ethnologische Interesse wurde bei Hanns Vischer früh geweckt, nicht nur durch den Vater mit seinen früheren Aufenthalten in China, sondern vor allem auch im Austausch mit seinem Onkel mütterlicherseits, Fritz Sarasin, dem Gelehrten, Forschungsreisenden und Gönner des Völkerkundemuseums Basel. So schenkte auch er dem Museum zahlreiche Gegenstände aus Nigeria und der umliegenden Region. Die Sammlung umfasst rund 450 Gegenstände. Die Bedeutung Hanns Vischers für das Basler Museum wurde in einem Nachruf in den Basler Nachrichten hervorgehoben[17].

1911 heiratete Hanns Vischer die Bernerin Isabelle de Tscharner. 1912 übersiedelte sie nach Nassawara, als eine der ersten weissen Frauen in der Region. Sie gründete einen offenen und gastfreundlichen Haushalt. «She was the true uwargida, the mother, as Hanns was the father, of the great family»[18]. In Briefen an ihre Mutter berichtete sie über ihre Eindrücke[19]. Die beiden führten eine fortschrittliche Ehe, Isabelle trug seine Arbeit wesentlich mit und begleitete ihn auch später auf vielen Reisen. Hanns Vischer fühlte sich sichtlich wohl im Hausagebiet. Er scherzte mit den Markthändlern, wenn er vorbei ritt, zu Hause sang er auf den Boden gekauert schmachtende einheimische Lieder, die er auf der Trommel begleitete[20]. Er trug den Beinamen «Dan Hausa», Sohn der Hausa. Noch seine Grosstochter Annabel wurde 63 Jahre später auf dem Markt von Zaria als «Grosstochter von Dan Hausa» angesprochen[21].

Kriegsjahre

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bildete eine Zäsur und de facto das Ende des Aufenthalts in Westafrika. 1915 bis 1919 arbeitete Hanns Vischer in verschiedenen europäischen Ländern für den britischen militärischen Geheimdienst, wo ihm vor allem sein ausserordentliches Sprachtalent von Nutzen war. Er war nicht nur fliessend in Deutsch, Englisch und Französisch, sondern konnte auch Spanisch und Italienisch sprechen. 1917 war er der britischen Botschaft in Bern zugeordnet und zuständig für die ganze Schweiz[22]. Isabelle begleitete ihn 1916 nach Madrid und nach Bern. Vischer erreichte den Rang eines Majors und erhielt zahlreiche Kriegsauszeichnungen. Allerdings sprach er nie über diese Jahre im Krieg, wie sein Sohn Peter schreibt[23].

 

1919 wünschte die koloniale Administration seine Rückkehr nach Nordnigeria, aber dies war zum gegenseitigen Bedauern aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Ein Jahr später kaufte das Ehepaar Vischer das Gut Charlwood Park bei Horley in Surrey[24].

Ab 1923 wirkte Hanns Vischer im Colonial Office in London als Berater für Bildungsfragen. Bis 1929 war er dort Sekretär des Advisory Committee on Native Education in British Tropical Africa und weitere zehn Jahre übte er dieses Amt gemeinsam mit Arthur Mayhew aus. Im Rahmen dieser Anstellung besuchte er die USA, Ägypten, den Sudan, die damalige Goldküste und das südliche Nigeria, um deren Schulsysteme kennen zu lernen. 1933 schrieb er an seinen Onkel Fritz Sarasin: «Was die Afrikaner anbelangt reifen die Kolonien dort als solche ihrem Ende entgegen. (…) Im Erziehungswesen ist das besonders bemerkenswert und ich begrüsse es sehr. Erstens wissen sie ja viel besser als wir, was sie lernen können und wollen, und zweitens zeigt dies, dass unsere Versuche, mit unseren Schulen die Leute zu Selbstvertrauen und zu Selbständigkeit zu erziehen, nicht ganz verfehlt haben»[25].

International Africa Institute

1925 gründete er gemeinsam mit seinem väterlichen Freund und ehemaligen Vorgesetzten in Nordnigeria, Sir Frederick Lugard[26], dem späteren Lord Lugard, das International Institute of African Languages and Cultures in London, später umbenannt in International Africa Institute mit Sitz in Cambridge, das eine weltweite Ausstrahlung besitzt. Hanns Vischer wurde 1926 dessen erster Generalsekretär. Sir Lugard hatte den Vorsitz inne, die Afrikanisten und Ethnologen Prof. Dietrich Westermann aus Berlin und Prof. Henri Labouret aus Paris waren die beiden Direktoren. Beim Aufbau des Instituts war viel diplomatisches Geschick erforderlich, der Institutsrat wurde jeweils von den höchsten Machthabern empfangen, so von König Albert in Belgien, Mussolini in Rom und dem Papst im Vatikan[27]. Ab 1928 gab das Institut die Zeitschrift Africa heraus.

In einem Vortrag in Davos über die Aktivitäten des Instituts zählte Hanns Vischer die Zerstörungen auf dem afrikanischen Kontinent durch den Sklavenhandel, die Entdeckungen, die Jagd nach afrikanischen Kolonien in den 1880er-Jahren und die folgenden Kriege auf und fragte: «Was sollen wir tun, um trotz dieser rastlos vordringenden Zerstörung der äusseren Formen die innere Kraft und Lebensfähigkeit dieser Stämme zu erhalten und zu stärken?»[28]. Er umriss das Ziel des Instituts als Beitrag für eine friedliche internationale Zusammenarbeit. «Es ist eine grossartige Arbeit, eine neue Rasse in die Menschheitsfamilie als vollberechtigtes Mitglied einzuführen»[29]. 1935 fand die Jahresversammlung des Instituts zu Ehren des Mitgründers Hanns Vischer in Basel statt. Sein Bruder Adolf Lukas Vischer organisierte den Anlass, Regierungspräsident Fritz Hauser überbrachte die Grüsse der Regierung, Fritz Sarasin lud zu sich nach Hause ein.[30]

 

Die letzten Jahre

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wechselte Hanns Vischer erneut in die Uniform, auch seine vier Söhne Claude, Thylbert, John und Peter standen an verschiedenen Fronten im Einsatz der britischen Armee[31]. Der Vater war wiederum für den Geheimdienst tätig[32]. 1941 wurde er für seine Verdienste um Bildung in Afrika von König George VI. zum Ritter geschlagen, nachdem er bereits 1934 in den Most Distinguished Order of St. Michael and St. Georgeaufgenommen worden war.

Nur vier Jahre später verstarb Sir Hanns unerwartet im Alter von knapp siebzig Jahren auf seinem Landsitz Tykeford Lodge in Newport Pagnell an den Folgen einer Lungenentzündung. Zum grossen Bedauern seiner Familie, seiner Freunde und Weggefährten. Lord Lugard schrieb in der Times: «It is no commonplace tribute to say that by the sudden death of Sir Hanns Vischer Africa – and especially West Africa and Nigeria – has lost a champion who is irreplaceable. (…) the welfare of the African Peoples has been the dominant motive of his life»[33]. Kurz vor seinem Tod war Vischer im Auftrag des Institute for African Languages and Cultures in Paris gewesen, um den Kolonialminister und die neue Regierung zu treffen. Es war gemäss Lord Lugard Hanns Vischers Verdienst, dass das Institut den Krieg überdauern konnte. 1963, fast zwanzig Jahre nach ihrem Ehemann, starb auch seine Frau Isabelle, beide sind auf dem Friedhof in Lathbury begraben.

Drei Welten

Hanns Vischer blieb Basel zeitlebens eng verbunden, seine Geburtsstadt war ihm ein Sehnsuchtsort. Zwischendurch hatte er «Heimweh zum Krankwerden» und zitierte gern Verse von Johann Peter Hebel[34]. Verbunden fühlte er sich zeitlebens auch mit dem stadtbekannten Schwimmlehrer und Kleinhüninger Fischer «Hämmi» Bürgin vom Pfalzbadhüsli[35]. Und nach Möglichkeit nahm er an den Anlässen der Ehrenzunft zum Schlüssel teil. 1939 besuchte er seine Geburtsstadt letztmals.

Gemäss Kober konnte Hanns Vischer «die drei grossen Gefühlswelten, denen er als Bürger angehörte, mit gleicher Intensität in sich empfinden; als grosser, warmherziger Afrikaner, tüchtiger Untertan und Ritter der britischen Majestät und guter Schweizer»[36]. Hanns Vischer war eingebunden in den britischen Staat und die kolonialen Strukturen, aber seiner Zeit voraus. Das Ende der Kolonialzeit nahm er zuversichtlich vorweg. Sein wertschätzendes Interesse an Westafrika und dessen Bevölkerung war echt und ermöglichte ihm zahlreiche Freundschaften. Und er hatte keine Berührungsängste mit dem Islam, was an seinen 1817 verstorbenen Mitbasler Johann Ludwig Burckhardt alias Scheich Ibrahim erinnert. «Vischer was by nature and personal experience predisposed to respect the cultures of other peoples»[37]. Hanns Vischer war ein sprachgewandter Kosmopolit. Sein Abenteuergeist war gepaart mit einem grossen Gestaltungswillen, viel Humor und Lebensfreude. Eine Mischung, mit der er zwischendurch auch aneckte.

 

Anmerkungen

[1] Lilo Roost Vischer, verheiratet mit Oliver Vischer, Stamm C, Dr. phil., Ethnologin und Religionswissenschaftlerin, seit 1983 regelmässige Aufenthalte in Westafrika, vor allem in Ouagadougou/Burkina Faso. Sie war die Mitgründerin und erste wissenschaftliche Koordinatorin des Zentrums für Afrikastudien der Universität Basel.
[2] P.H.M. Vischer, 1987: The Story of the Vischers 1514 – 1963. S. 8. Der Bericht endet mit den Worten «Vivat navis pescatorum!», «Es lebe das Boot der Fischer!».
[3] Gründer des Stammes C der Familie Vischer.
[4] Martin W. Pernet 2014: Friedrich Nietzsche und das ‘Fromme Basel’. Basel, Verlag Schwabe, S. 149-151.
[5] Sonia F.G. Parkinson 1998: Sir Hanns Vischer, Champion of African Cultures: a portrait of an adviser on colonial education. Education Research and Perspectives, Vol. 25, No. 1, S. 6.
[6] Heute der nigerianische Bundesstaat Borno, mit der Hauptstadt Maiduguri.
[7] Brief an Adolf Vischer 1907, zit. in Parkinson 1998: 7.
[8] «er sah die Vision von Gott als dem einen Vater des ganzen Menschengeschlechts und darin die Vision von allen Nationen, verwandten Völkern und Sprachen, die zusammenleben». Zur Erinnerung an Sir Hanns Vischer (o.J.): S. 5.
[9] «Ihre Grösse übertrifft meinen armen Stift». Hanns Vischer 1910: Across the Sahara. From Tripoli to Bornu. London, Verlag Edward Arnold. S. 5. Das Buch ist seiner Mutter gewidmet.
[10] «Kaum einen Monat zuvor war ich angekommen, ein Fremder, der niemanden kannte, und hier war die halbe Stadt um mich herum und betete für eine gute Reise. (…) Als die Sonne durch die Palmen aufging, betete ein alter Scheich feierlich die Fatihaund die ganze große Menge sagte ‚Amen’». Vischer 1910: 170. Die Fatiha, «die Eröffnende», ist die erste Sure des Korans und das häufigste Gebet im Islam.
[11] «Tausend Drohungen und Versprechungen meinerseits das getan hätten». Vischer 1910: 192.
[12] «Lieber Vischer, ich ziehe es vor, dass meine Mitarbeiter die Arbeit tun, für die sie bezahlt werden, anstatt in fremden Ländern nach persönlichem Ruhm oder geografischer Weiterentwicklung zu suchen». Zit. in John Hare 2002: 62. Surviving the Sahara. Photos by Carsten Peter. National Geographic, Dec. 2002. Als Buchpublikation: John Hare 2003: Shadows Across the Sahara, Constable & Robinson.
[13] «Ich mochte seine Erzählungen über aufregende Begegnungen in schrecklichen Wüsteneinöden, wo tagelang kein Wasser zu finden war und wo es nur wenige Oasen gab». Hare 2002: 62.
[14] Tagebucheinträge von 1900 bis 1902, siehe Supplement to Hanns Vischer’s Book «Across the Sahara», Copyright to the Vischer Family Trust 2003.
[15] Parkinson 1998: 2.
[16] Alfred Kober 1945: Bürger dreier Welten. Erinnerungen an Sir Hanns Vischer. Schweizer Illustrierte Zeitung 21/22 1945: S. 29. Alfred Kober war Verleger, Journalist und dezidierter Kritiker des Nationalsozialismus (Historisches Lexikon der Schweiz, vgl. auch Gustaf Adolf Wanner 1980: Ein Basler als Ritter der britischen Krone. Basler Zeitung 1.5.1980). Der Nachruf Kobers ist umfang- und kenntnisreich. Er ist allerdings, dem Zeitgeist gehuldigt, im Ton paternalistischer als Vischers Texte. So schreibt Kober über Vischer: «ihm fehlte jede Überheblichkeit der Einstellung zu den dunkelhäutigen Naturkindern. Die Kindlichkeit ihrer Gefühlswelt entsprach einem naturhaften Zug seines eigenen Wesens» (S.16).
[17] Museum der Kulturen Basel (ehemals Völkerkundemuseum), Sammlung Hanns Vischer. Siehe auch Basler Nachrichten Nr. 84, 1946: Zur Erinnerung an Sir Hanns Vischer.
[18] «Sie war die wahre uwargida, die Mutter, wie Hanns der Vater der großen Familie war». Sir George Tomlinson 1945. Obituary. Nature, April 14, 1945.
[19] De Tscharner, Isabelle 1917 : Croquis et Souvenirs de la Nigérie du Nord. Préface de M. le Dr. F. Sarasin, à Bâle. Attinger Frères, éditeurs, Neuchâtel.
[20] Tomlinson 1945.
[21] P.H.M. Vischer 1987: 10.
[22] Parkinson 1998: 11/12.
[23] P.H.M. Vischer 1987: 11.
[24] Parkinson 1998: 12.
[25] Zit. in Parkinson 1998: 10/11.
[26] Lord Frederick Lugard war von 1912 bis 1914 Gouverneur von Nordnigeria und 1914 bis 1919 Generalgouverneur von Nigeria. Er gilt als prägende Gestalt der «Indirect rule», des Einbezugs lokaler Herrschaftsstrukturen, die das britische Kolonialreich massgeblich prägte. https://en.wikipedia.org/wiki/Frederick_Lugard,_1st_Baron_Lugard
[27] Parkinson 1998: 26.
[28] Vischer 1929: Die Völkerprobleme in Afrika und das Internationale Institut für afrikanische Sprachen und Kulturen. Verhandlungen der Schweizer. Naturforschenden Gesellschaft, Davos 1929. Separatum S. 5.
[29] Hanns Vischer 1929: S. 7. Irritierend aus heutiger Sicht ist die Verwendung des Begriffs Rasse für die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents.
[30] Annual Report. The Work of the Institute in 1935. (1936). Africa: Journal of the International African Institute, 9(1), 100–108. http://www.jstor.org/stable/1155243Anwesend war auch Bronislaw Malinowski, für Ethnolog:innen meiner Generation eine zentrale Figur.[31] P.H.M. Vischer 1987: 11.[32] Parkinson 1998: 30.
[33] «Es ist keine banale Würdigung, wenn wir sagen, dass Afrika – und insbesondere Westafrika und Nigeria – durch den plötzlichen Tod von Sir Hanns Vischer einen unersetzlichen Champion verloren hat. (…) Das Wohl der afrikanischen Völker war das beherrschende Motiv seines Lebens». Lord Frederick Lugard 1945: Times 06.03.1945.
[34] Zur Erinnerung an Sir Hanns Vischer, o.J.: S. 3.
[35] Eugen A. Meier 1975: Auf dem Todesweg durch die Sahara. National-Zeitung 31.12.1975, S. 14.
[36] Kober 1945: 32.
[37] «Vischer war von Natur aus und aufgrund persönlicher Erfahrungen dazu veranlagt, die Kulturen anderer Völker zu respektieren», Parkinson 1998: 9.

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